Seit dem Frühjahr 2024 ist der alternative Kraftstoff HVO 100 an deutschen Tankstellen offiziell zugelassen und weckt bei vielen Fahrern von Dieselfahrzeugen Hoffnungen. Die Industrie verspricht eine drastische Reduktion der CO2-Emissionen um bis zu 90 Prozent und eine sauberere Verbrennung. Doch während die Werbung den neuen Sprit als unkomplizierte Lösung für eine klimafreundlichere Mobilität preist, äußern Umweltverbände und Experten fundamentale Kritik. Eine genaue Betrachtung der Faktenlage zeigt ein komplexes Bild, das weit über einfache Werbebotschaften hinausgeht.
Was man zuerst über HVO 100 wissen sollte: Die Abkürzung HVO steht für „Hydrotreated Vegetable Oils“, also mit Wasserstoff behandelte Pflanzenöle. Es handelt sich um einen paraffinischen Dieselkraftstoff, der chemisch so aufbereitet wird, dass er die Norm DIN EN 15940 für synthetische Dieselkraftstoffe, auch XTL genannt, erfüllt. Im Gegensatz zu herkömmlichem Biodiesel, der durch Veresterung hergestellt wird, durchlaufen bei der HVO-Produktion pflanzliche Fette und Öle oder auch tierische Fette und gebrauchte Speiseöle eine katalytische Reaktion mit Wasserstoff bei hohen Temperaturen.
Das Ergebnis ist ein wasserklarer Kraftstoff, der eine höhere Cetanzahl als fossiler Diesel aufweist, was eine effizientere und sauberere Verbrennung im Motor ermöglichen soll. Ein wesentlicher Vorteil für den Verbraucher liegt in der Anwendbarkeit: Sofern der Fahrzeughersteller eine Freigabe erteilt hat, kann HVO 100 ohne technische Anpassungen am Motor oder am Kraftstoffsystem getankt werden. Auch das Mischen mit konventionellem B7-Diesel ist problemlos möglich. Zahlreiche Hersteller, darunter große Konzerne wie Volkswagen, BMW, Mercedes-Benz sowie viele Lkw-Produzenten, haben bereits Freigaben für neuere Modelle oder bestimmte Motorengenerationen erteilt. Ein Blick in die Betriebsanleitung oder auf das „XTL“-Symbol im Tankdeckel gibt Aufschluss.
Das zentrale Verkaufsargument für HVO 100 ist die massive Einsparung von Treibhausgasen. Die Logik dahinter: Die Rohstoffe, etwa Pflanzen oder Altfette, haben während ihres Wachstums oder ihrer Entstehung CO2 aus der Atmosphäre gebunden. Bei der Verbrennung im Motor wird zwar CO2 freigesetzt, dieses sei aber Teil eines kurzfristigen Kreislaufs und erhöhe nicht die Konzentration fossilen Kohlenstoffs in der Atmosphäre.
Allerdings wird diese stark vereinfachte Bilanz von Kritikern scharf angegriffen. Umweltorganisationen wie der Naturschutzbund Deutschland (NABU) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) bemängeln, dass die Herkunft der Rohstoffe oft unklar und problematisch sei. Die Vorstellung, man könne den gesamten Dieselbedarf aus altem Frittierfett und Abfällen decken, sei eine Illusion. Die weltweit verfügbaren Mengen dieser Reststoffe sind äußerst begrenzt und werden bereits von anderen Industrien, beispielsweise der Chemie- oder Futtermittelbranche, genutzt.
Der Verdacht liegt nahe, dass für die Produktion von HVO in großem Stil auf frische Pflanzenöle, insbesondere Palmöl, zurückgegriffen wird. Zwar ist die Verwendung von Palmöl für Kraftstoffe in der EU stark reglementiert, doch es gibt Berichte über Betrugsfälle, bei denen klimaschädliches Palmöl fälschlicherweise als Altspeiseöl deklariert und nach Europa importiert wird. Für den Anbau von Palmöl werden oft wertvolle Regenwälder gerodet, was die Klimabilanz ins Gegenteil verkehren würde. Hinzu kommt, dass der für die Herstellung benötigte Wasserstoff heute mehrheitlich aus fossilem Erdgas gewonnen wird, was ebenfalls die CO2-Bilanz belastet.
Die Diskussion konzentriert sich häufig auf das Kohlendioxid, doch auch andere Abgase spielen eine Rolle für Umwelt und Gesundheit. Befürworter von HVO 100 verweisen auf eine geringere Ruß- und Feinstaubbildung bei der Verbrennung. Messungen der DUH haben jedoch gezeigt, dass zwar die Masse der Partikel abnimmt, die Anzahl der besonders gesundheitsschädlichen ultrafeinen Partikel aber ansteigen kann. Diese winzigen Teilchen können tief in die Lunge und den Blutkreislauf eindringen. Auch bei den Stickoxid-Emissionen (NOx) ist das Bild nicht eindeutig. Während einige Tests eine leichte Reduktion zeigen, wurden in anderen Untersuchungen sogar erhöhte Werte im Vergleich zu fossilem Diesel gemessen. Von einer generellen Verbesserung der Luftqualität durch HVO 100 kann man daher nicht pauschal ausgehen.
HVO 100 kann unter bestimmten Voraussetzungen eine sofort wirksame Maßnahme sein, um die Treibhausgas-Bilanz einzelner Fahrzeuge oder Flotten zu verbessern, insbesondere dort, wo eine Elektrifizierung kurzfristig nicht umsetzbar ist, wie im Schwerlastverkehr oder bei Baumaschinen. Es ist jedoch keine universelle Lösung für die Klimaprobleme im Verkehrssektor. Die begrenzten und in ihrer Nachhaltigkeit oft fragwürdigen Rohstoffe setzen dem Wachstum klare Grenzen. Die Gefahr von Greenwashing ist erheblich, solange keine lückenlose Transparenz über die gesamte Lieferkette vom Rohstoff bis zur Zapfsäule besteht.
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